Legenden
Ich war gerührt und entsetzt, als ich das zum ersten Mal sah.Morddrohungen wegen Dialog mit Muslimen
von azrail | Düsseldorf | 866 mal gelesen
Muslime und mit ihnen dialogbereite Menschen erhalten Morddrohungen.
Gestern Nachmittag sah meine Mutter um 13.00 Uhr auf dem Heimweg von der Arbeit am Fuß einer Grundstücksmauer in unmittelbarer Nähe von Abfallcontainern einen kleinen Abfallhaufen, auf dem neben alten, zerrissenen Kleidern und Essensresten auch ein Rosenkranz sowie zwei Kruzifixe, die ca. 20 und 40 cm groß waren, lagen. Alle Passanten, die vorbei gingen, erzählte sie, schauten zwar auf den Haufen, ließen aber die christliche Symbole im Schmutz liegen.
Kaum habe sie sich nach den Dingen gebückt, erzählte meine Mutter weiter, seien auch schon einige Passanten stehen geblieben, darunter eine ältere italienische Dame, die angab, sie habe die Kruzifixe auch aufheben wollen. Meine Mutter, die sie fragte, weshalb sie es dann nicht getan hatte, gab sie ihr mitsamt dem Rosenkranz. Beide gingen danach miteinander plaudernd bis zum nächsten Supermarkt weiter, wo jede der beiden ihre Einkäufe erledigte und sich ihre Wege trennten.
Eine richtig schöne Geschichte, geradezu spontan geschrieben. Auch wunderbar, dass es in diesem Viertel noch italienische Damen gibt. Aber jetzt kommt der Unhold.
Auf dem Rückweg zu unserem Wohnhaus wurde meine Mutter ihrer weiteren Erzählung nach plötzlich von einem ca. vierzigjährigen Deutschen beschimpft. Der Mann, der sich bereits in vergangenem Jahr mit ausländerfeindlichen wie antisemitischen Äußerungen und Aktionen hervortat und ihr nicht so ganz unbekannt ist, herrschte sie an, sie solle als Moslemin mit ihren 'schmutzigen Fingern' keine christlichen Gegenstände mehr berühren. Er steckte ihr plötzlich die ersten Seiten der gestrigen Samstagsausgabe "Die Welt" (11.08.2007) in ihre große, offenstehende Umhängetasche, riet ihr, einen Artikel über 'Islam' zu lesen und fügte hinzu, Moslem würden sowieso in Bälde allesamt vergast werden.
Wir lasen den Leitartikel auf der Titelseite "Auch Islam-Gegner werden radikal" sowie den ausführlicheren auf Seite 4 mit der Überschrift "Wir glauben nicht an den moderaten Islam". Um mehr Wissen über die Hintergründe zu bekommen, forschten wir auf den verschiedensten Seiten im Internet nach.
So ein Dreckskerl. Hat der die Frau gesehen, wie sie die heiligen Sachen in die Hand nahm, und dann wartet er auf sie mit der Zeitung vom Vortag, die er ihr dann in die Tasche steckt.
Eigenartig ist bloss, dass in der Zeitung dann Artikel stehen, die genau ihn kritisieren. Kann man so doof sein. Eigenartig auch, dass es Artikel sind, die sehr leicht auf dem Internet zu finden sind.
Was mich ursprünglich stutzig machte war nicht der Artikel selber, sondern eine Bemerkung, die die Autorin in einem Kommentar selber abgab:
@Baucis
Sie werden staunen - dass die Bibel eine "Verfälschung" der "ursprünglichen Wirklichkeit" wäre, hörte ich zum ersten Mal im Alter von 4 Jahren von einer damals ca. 32-jährigen deutschen Nachbarin. Sie war eine Anthroposophin und Mitglied bei den "Grünen". Abends sprach sie viel über Religion, erzählte dann immer wieder, dass die Bibel eine Fälschung und die richtige versteckt sei und riet zudem noch, dass wir uns vor Katholiken hüten sollten, die Teufelsanbeter wären - der Papst hätte auf seiner Tiara die Zahlen 666; etc., etc. Sie war allerdings nicht die einzige; im Laufe der Zeit hörte ich solche Behauptungen auch immer wieder von anderen Menschen, die sich Christen nannten - vorwiegend von den Protestanten in unserer gegend (die überwogen) oder von jenen, die aus der katholischen Kirche austraten. Meine Mutter sagte stets, wir sollten nicht auf solch einen Schwachsinn hören.
Nun, eine Anthroposophin die sowas rauslässt, muss man mir noch zeigen. Anthroposophie verstand sich als Wissenschaft, also braucht die Bibel auch nicht abgelehnt zu werden, man pickte sich einfach heraus, was gefiel. Und so Unsinn wie die 666 auf der Tiara ist in unserem Kulturkreis wenig üblich, und noch weniger üblich ist es, dass sich eine 4-Jährige an all das mit Zahlen und Bezeichnungen so genau erinnert, und so genau weiss, dass die Erzählerin damals 32 war. Die Passage tönt eher nach einer Geschichte, die schon lange kursiert. Wie auch die Urban Legends, die diese Autorin im Artikel als die ihre verkauft. Weiter ist auch der Stilbruch eigenartig, wie erst erzählt wird und dann eine Sammlung von aktuellen Streitereien kommt, von Professoren bis zu Blogbetreibern, und dann zum Schluss noch zwei der stereotypen Urban Legends.
Macht nix. Lügen ist erlaubt. Verleumdung auch. Im Islam. (1), (2)
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(1) Die Geschichte war auf dem Watchblog Islamophobie aufgeführt, und daran erinnere ich mich, weil ich dort darauf stiess und sie anfangs glaubte und mitfühlend kommentierte. Aber unterdessen wurde sie wohl auch dem Watchblog Islamophobie zu durchsichtig. Man soll sich nicht erwischen lassen.
(2) Erwischen lassen: klickmich
Februar 2008: Watchblog Islamophobie ist eingestellt